[RPG a Day 2021] Charakterspiel und Einbezug von Hintergrund und Herkunft der Charaktere

Rollenspiel

Für mich ist es sehr wichtig, mir im Vorfeld des Spiels Gedanken über den Charakter zu machen, den ich verkörpern will.

Das heißt nicht, dass dies in endlosen Fließtexten ausformuliert sein müsste. Aber ein gewisser Rahmen hilft meiner Erfahrung nach zumindest mir sehr dabei, den Charakter in seiner Besonderheit zu verkörpern und von vorneherein eine  gewisse Richtung im Charakterspiel zu haben. Das Charakterspiel wird für mich so von Anfang an intensiver, die SCs in ihrem Verhalten einzigartiger.

Es gibt Spielende, die ihren Charakter komplett erst im Spiel kennenlernen wollen – ein absolut valider Ansatz, auch wenn ich damit zuweilen eher „zufällig“ agierende SCs mit wenig Eigenagenda im Spiel gesehen habe.

Mein Ansatz unterscheidet sich daher grundlegend, und ich möchte ihn kurz umreißen.

Ich überlege mir verschiedene, denkbare Archetypen auf die ich mal Lust hätte – in Session Zero wird dann in Absprache mit der Gruppe konkretisiert, wer in welche Richtung gehen möchte.

Meist werden die Charaktere dann auch schon (zumindest grob) gemeinsam gebaut.

Danach kommt für mich der interessanteste Part: Wer ist mein Charakter?

Dazu stelle ich mir eine Reihe von Fragen, beispielsweise:

  • Wie ist die grundlegende Persönlichkeit des SCs, welche Eigenschaften fallen anderen als erstes auf in Interaktionen?
  • Welches sind die größten Schwächen des SCs?
  • Woher stammt der SC? Wo und in welchen Bedingungen ist er aufgewachsen und inwiefern prägt ihn das immer noch?
  • Wie war das Familienleben des SCs, wie ist die Beziehung zu den Angehörigen und mit wem wird nach wie vor Kontakt gehalten?
  • Womit hat der SC seine Jugend verbracht? Womit die Zeit danach? Welche Berufswege wurden beschritten und wie lief das?
  • Gab es prägende Ereignisse (positiv wie negativ) und inwiefern sind diese immer noch bedeutsam oder kommen wieder hoch?
  • Was ist dem SC wichtig? Was sind seine Ziele, Wünsche und Träume? Was möchte der SC im Leben erreichen?
  • Gibt es bedeutsame Orte oder Besitztümer für den SC?
  • Wer ist dem SC wichtig und aus welchem Grund? Wie äußert sich das? Entsprechende NSCs werden grob umrissen, so dass auch sie eingebunden werden können
  • Was kann der SC überhaupt nicht leiden? Welche Eigenschaften oder Haltungen lehnt er ab?
  • Was fürchtet der SC?
  • Hat der SC Feinde oder Rivalen? Wie kam es dazu?
  • Wie sind die moralisch-ethischen Grundhaltungen des SCs? Gibt es vielleicht Ideen, dass der SC sich diesbezüglich in einen Wandlungsprozess begeben soll im Spiel (sowas kann vorher überlegt werden oder natürlich spontan im Spiel einfach passieren)?
  • Ist der SC religiös? Ergeben sich dadurch Konflikte mit dem Umfeld?
  • Welche Spleens/Marotten/schrägen Besonderheiten gibt es?
  • Aus welchem Grund beteiligt sich der SC am gewählten Szenario oder wie lässt er sich in die Grundprämisse der Runde einbinden?  Wie ist seine Motivation?
  • Gibt es Verbindungen zu anderen SCs der Gruppe, begegneten sie sich schon einmal, kenne sich oder sind in befreundeten oder verfeindeten Gruppierungen?

Diese Punkte, oder die mir für den SC relevant erscheinenden, beantworte ich in unterschiedlichem Detailgrad.

Ich belasse es bei Stichpunkten, die sich schnell visuell erfassen lassen. Lange Fließtexte finde ich im Spiel hinderlich. Die wichtigsten Informationen und Eigenschaften muss ich auf einen Blick sehen können, so dass ich sie im Spiel einsetzen kann.

Dadurch habe ich schon einen anständigen Rahmen, wie mein SC tickt und drauf ist – zumindest im Moment der Spielaufnahme. So kann ich das passig ausspielen, beständig weiterentwickeln und ausschmücken.

Und auch das ist wichtig – es gibt immer weiße Flecken.  Ich beschreibe den bisherigen Lebensweg des SCs grob, aber lasse genug Raum um Details spontan einzubinden.

Chayo ist dafür ein gutes Beispiel. Ich habe grob, auch durch die Laufbahnen, geklärt wie sie zu Los Zetas gekommen ist und in dieses Kartell gezwungen wurde. Dadurch habe ich auch einige grobe Ideen, was für schlimme Dinge sie dort getan hat und wie sie das beeinflusst. Im laufenden Spiel kommen dann mehr Details dazu.

Wenn sie nach einem Alptraum hochschreckt und der Gruppe eingesteht, was genau ihr keinen Frieden mehr lässt, dann schmücke ich das aus und füge Begebenheiten hinzu, die vorher natürlich noch nicht definiert waren. Dadurch bleibe ich flexibel, und kann auch auf Entwicklungen des SCs eingehen.

Dass sie die Familie eines Freundes, der dem Kartell den Rücken gekehrt hat und als Verräter bestraft werden sollte getötet hat, ist beispielsweise so ein Detail. Und vor allem die Tötung des Kindes, mit dem sie Wochen zuvor noch Fußball gespielt hatte, hat diesen Charakter nachhaltig beschädigt. Letztlich war das der finale Grund, sich dort immer mehr rauszuziehen, Kate das Leben zu retten, und sich bei Ausbruch der Zombieseuche zu distanzieren, froh mit all sowas nichts mehr zu tun zu haben – bis auf die Schuldgefühle, die sie weiter begleiten.

Solche Details sind ungeplant und kommen ins Spiel, wo es passt.

Für mich klappt das am besten, wenn ich eben auf etwas Bestehendem aufbauen kann, und es einfach verknüpfe und einflechte.

Manche Aspekte werden im Laufe des Charakterlebens vielleicht weniger wichtig, treten hinter den aktuellen Entwicklungen zurück. Die Persönlichkeit kann sich ändern, innere Konflikte überwunden werden oder neue entstehen.

Es groovt sich ein, man findet die Stimme und den Humor des Charakters, und formt ihn zu einer individuellen Persönlichkeit, die sich anders spielt als bisherige und künftige SCs. Und das ist etwas Wundervolles.

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